vorsorge
Vom Segen des Nichtwissens
Bislang
gilt die FrŸherkennung als die wirksamste Waffe im Kampf gegen den Krebs. Doch
ist sie das wirklich?
Von
Klaus Koch und Christian Weymayr
FŸr
die PrŸderen unter den Amerikanern handelte es sich schlicht um Pornografie.
Und es waren in der Tat ziemlich hŸbsche Frauen, die da in Gro§aufnahme
demonstrierten, wie sich eine Frau ihre Brust abtasten sollte. Diese so
genannte Selbstuntersuchung hatte die Amerikanische Krebsgesellschaft Anfang
der fŸnfziger Jahre zur wichtigsten Waffe gegen den Brustkrebs gekŸrt. Eine
Schwemme von BroschŸren, BŸchern und sogar ein Film erklŠrten der weiblichen
HŠlfte der Nation, warum es lebenswichtig sei, dass alle Frauen ab 20 sich
einmal pro Monat systematisch die BrŸste nach Knoten abtasteten. Au§er bei den
Zeitgenossen, die sich an den šffentlichen Bildern der Nackten stie§en, gab es
wenig Zweifel am Sinn der Kampagne. Die Empfehlung wurde zum Allgemeingut und
gehšrte bald auch in Deutschland zu den guten RatschlŠgen gegen den Krebs.
Doch
mit den monatlichen FingerŸbungen geht es jetzt zu Ende. Im Mai hat sich die
Amerikanische Krebsgesellschaft offiziell von ihrer alten Empfehlung der
regelmŠ§igen Selbstuntersuchung distanziert. Es fehle der Beweis, dass die
Technik die Zahl der Brustkrebstoten verringere.
Die
Abkehr von der Tastuntersuchung symbolisiert einen fundamentalen Wechsel im
Umgang mit der KrebsfrŸherkennung. Bislang galt das Prinzip Hoffnung: Jeder,
der eine aussichtsreiche Methode propagierte, den Krebs noch frŸher aufzuspŸren,
konnte sich der Sympathie Ð und Kundschaft Ð sicher sein. Doch langsam dringen
auch die Grenzen der Verfahren ins Bewusstsein. Plštzlich wird offen darŸber
diskutiert, dass allzu eifrige Kontrolle sogar mehr schaden als nŸtzen kann. An
der seit 1971 praktizierten FrŸherkennung von Darm-, Prostata-, Brust-, Haut-
und GebŠrmutterhalskrebs lŠsst sich demonstrieren, dass Nichtstun eine ernst zu
nehmende Alternative ist.
FrŸherkennung
ist im Kern ein TauschgeschŠft: Man tauscht ein Risiko gegen ein BŸndel anderer
Risiken. Von 1000 Teilnehmern kšnnen bestenfalls einige wenige erwarten, dass
FrŸherkennung sie vor einem vorzeitigen Tod durch einen Krebs bewahrt. Keine
Frage, das ist ein sehr starkes Argument fŸr FrŸherkennung. Doch dieser Gruppe
stehen etwa gleich viele Teilnehmer gegenŸber, bei denen FrŸherkennung die
Gesundheit angreift, die sie eigentlich erhalten soll.
Risiken
werden verschwiegen
Wer
sich auf die FrŸherkennung einlŠsst, kommt nicht darum herum, mit Zahlen zu
spielen. Die Drohkulisse, vor der sich die Diskussion um die FrŸherkennung
abspielt, sind 18000 Brustkrebs- und 28000 Darmkrebstote jedes Jahr in
Deutschland. Auf den Einzelnen heruntergerechnet, sehen diese Zahlen allerdings
ganz anders aus. GlŸcklicherweise ist nŠmlich das individuelle Risiko nicht
allzu gro§, in den nŠchsten zehn Jahren an einem bestimmten Krebs zu sterben.
So mŸssen beispielsweise von 1000 60-jŠhrigen MŠnnern sechs damit rechnen, vor
dem 70. Geburtstag an Darmkrebs zu sterben. Und von 1000 60-jŠhrigen Frauen
sterben in demselben Zeitraum etwa sieben an Brustkrebs. Das aber relativiert
auch den Effekt der FrŸherkennung: Wenn nŠmlich umgekehrt 994 von 1000 MŠnnern
nicht an Darmkrebs oder 993 von 1000 Frauen nicht an Brustkrebs sterben,
kšnnen sie durch FrŸherkennung auch nicht gerettet werden. Der potenzielle
Nutzen der regelmŠ§igen Untersuchungen verringert sich noch weiter, weil die
Tests nicht wirklich 100 Prozent aller KrebsfŠlle aufspŸren. Das bedeutet:
Unter 1000 Untersuchten wird am Ende das Leben von ein bis drei Darm- und
Brustkrebskranken um eine gewisse Zeit verlŠngert.
ãImmerhinÒ,
sagen die Verfechter der FrŸherkennung. Was sie aber konsequent beim Arzttermin
und in bunten Heftchen verschweigen: Den anderen, eigentlich gesunden 997 bis
999 Teilnehmern drohen SchŠden. So gibt es immer wieder Tumoren, die so langsam
wachsen, dass die Betroffenen in ihrer Lebenszeit nie unter dem Krebs leiden
werden Ð sie sterben schlicht an etwas anderem. Auch diese ãharmlosenÒ
Wucherungen werden durch FrŸherkennung entdeckt. Und weil €rzte einem Krebs
hŠufig nicht ansehen kšnnen, wie gefŠhrlich er ist, wird er kurzerhand
operiert, bestrahlt und/oder chemotherapiert. Die Betroffenen und ihre Familien
mŸssen fortan mit einer Angst vor dem RŸckfall und mit den Folgen der Eingriffe
leben, die sie ohne FrŸherkennung nie erlitten hŠtten. Nichtwissen kann auch
ein Segen sein.
Die
Kampagnen zur FrŸherkennung aber rollen. Im vergangenen Herbst haben die
SpitzenverbŠnde der Gesetzlichen Krankenversicherung beschlossen, ab 2003 allen
Frauen zwischen 50 und 70 flŠchendeckend die Mammografie anzubieten. Einer von
fŸnf durch die Ršntgenuntersuchung entdeckten Tumoren ist ein in den
MilchgŠngen wachsendes In-situ-Karzinom, das im Ršntgenbild besonders leicht
auffŠllt, weil es oft Kalk ablagert. Nach den bisherigen Erfahrungen wŸrden
viele dieser In-situ-Karzinome nie zu einem Problem fŸr die betroffenen Frauen.
Ist aber ein solcher Tumor einmal entdeckt, wird er fast immer aggressiv
behandelt.
Suzanne
Flechter von der Harvard Medical School und Joanne Elmore von der University of
Washington in Seattle rechnen im Fachblatt New England Journal of Medicine vor, dass unter 1000
50-jŠhrigen Frauen durch eine zehnjŠhrige Teilnahme an einer
Mammografie-FrŸherkennung einerseits vier Frauen gerettet werden, aber auf der
anderen Seite bei sieben Frauen ein In-situ-Karzinom entdeckt wird. ãOb diese
Funde Leben retten oder nur die Zahl der Frauen mit einer Brustkrebsdiagnose
erhšhen, ist nicht klarÒ, schreiben die beiden.
Das
Problem der †berdiagnosen droht auch bei der derzeit laufenden Kampagne zur
FrŸherkennung des Prostatakarzinoms. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis
durchgesetzt, dass das bisher von den Kassen bezahlte Abtasten der
VorsteherdrŸse viel zu ungenau ist. Jetzt fordern Urologen-VerbŠnde und sogar
der Bundesrat, dass die Kassen auch die Kosten fŸr den Bluttest Ÿbernehmen, der
nach dem Krebsmarker prostataspezifisches Antigen (PSA) fahndet. Ist der Wert
erhšht, nimmt der Arzt eine Gewebeprobe, um den Verdacht abzuklŠren. BestŠtigt sich
der Verdacht, wird in der Regel die Prostata samt dem Krebsherd
herausgeschnitten. Hunderttausende MŠnner lassen in Deutschland ihren PSA-Wert
checken. Die entscheidende Frage, ob die Jagd nach erhšhten PSA-Werten die
Sterblichkeit Ÿberhaupt senken kann, ist indes offen. Gerade versuchen zwei
gro§e Studien in Europa und den USA dies zu klŠren.
Viele
bedeutungslose Diagnosen
Sind
die €rzte durch erhšhte PSA-Werte alarmiert, bekŠmpfen sie einen
vielgestaltigen Feind. Die FrŸherkennung zielt auf besonders aggressive Formen
des Prostatakrebses, die vorwiegend relativ junge MŠnner tšten. Doch wesentlich
hŠufiger sind langsam wachsende Varianten, die vermutlich jeder dritte Mann ab
50 und jeder zweite ab 80 in seiner VorsteherdrŸse trŠgt. Diese Alterskarzinome
machen sich aber entweder nie bemerkbar oder so spŠt, dass die MŠnner nicht an
ihrem Krebs sterben, sondern mit ihm. Viele Experten mahnen deshalb zur
ZurŸckhaltung mit dem PSA-Test, solange nicht bewiesen ist, dass er vor allem
die gefŠhrlichen Tumoren findet. Eine Lawine von Prostata-Operationen drohe,
die den Betroffenen nicht nur nicht nŸtzten, sondern sogar recht viele
inkontinent und impotent zurŸcklie§en.
Mit
immer ausgeklŸgelteren Verfahren steigt die Chance, ungewollt in den Sog der
Medizin zu geraten. Beim GebŠrmutterhalskrebs suchen die €rzte gezielt nach
noch gutartigen GewebeverŠnderungen, die bšsartig werden kšnnen. Aber viele
bleiben gutartig. Auch die Standardmethode, der Pap-Abstrich, ist umstritten.
Vor wenigen Wochen machten Mediziner im British Medical Journal folgende Rechnung auf:
Um eine einzige Frau vor dem Tod durch einen GebŠrmutterhalskrebs zu bewahren,
mŸssen 1000 Frauen 35 Jahre lang zur FrŸherkennung gehen. Von diesen Frauen
werden 150 ein besorgniserregendes Testresultat bescheinigt bekommen, von denen
mehr als 50 wegen ihres Tumors behandelt werden Ð mit allen Risiken und
Nebenwirkungen einer Krebstherapie.
Und
die Pap-Suche soll jetzt sogar noch ausgedehnt werden. In fast jedem
GebŠrmutterhalstumor finden sich bestimmte Warzenviren, die humanen
Papillomviren (HPV). Gentests erkennen diese Viren und kšnnen, so die
Argumentation der Testpropagandisten, bei der Beurteilung helfen, ob eine Frau
besonders gefŠhrdet ist. Der Haken an der Sache: Fast jede Frau wird irgendwann
in ihrem Leben mit den sexuell Ÿbertragbaren Viren infiziert sein Ð
vorŸbergehend und ohne etwas davon zu merken. Wenn man nach den Viren sucht,
wird man also mit Sicherheit viele infizierte Frauen finden. Doch fŸr die gro§e
Mehrzahl ist der Fund všllig ohne Bedeutung.
Die
FrŸherkennung laboriert nicht nur an †berdiagnosen. Ein verschwiegenes Problem
ist, dass einige Tumoren bereits unheilbar sind, lange bevor sie entdeckt
werden kšnnen. Wenn solch ein Krebs schlie§lich bei der Vorsorge auffŠllt, ist
das Ergebnis nur eine Vorverlegung der Diagnose. Ein Beispiel: Zwei Frauen
sterben mit 57 Jahren an ihrem Brustkrebs Ð die eine hatte die Prognose erst
mit 53 erfahren, die andere schon mit 50. Die FrŸherkennung verlŠngerte nicht
das Leben, sondern das Leiden. Auch der umgekehrte Fall kommt vor. Die meis-
ten Tests Ÿbersehen ein Zehntel bis manchmal die HŠlfte der Tumoren, sodass es
immer wieder so genannte falsch-negative Diagnosen gibt. Die Betroffenen gehen
beruhigt nach Hause und nehmen Warnzeichen vielleicht nicht ernst genug.
Man
muss sich darŸber klar sein, dass sich der Tausch der Risiken in dem Moment
vollzieht, in dem der Arzt eine Blutprobe abnimmt, um einen PSA-Wert zu
bestimmen, oder die Helferin die Brust mit dem RšntgengerŠt flach drŸckt. Wenn
die Untersuchung einmal anlŠuft, gibt es meist kein ZurŸck mehr. Das ist der
Augenblick, wo aus der abstrakten Statistik Einzelschicksale werden, deren
Verlauf niemand vorhersagen kann. Die Bilanz ist so heikel, dass jeder selbst
entscheiden sollte, was er bevorzugt. Kennzeichnend ist aber, dass den
Teilnehmern bislang die Mšglichkeit der AbwŠgung verweigert wurde. Kampagnen
zur FrŸherkennung haben nur das Ziel, die Teilnehmerquote zu steigern.
Die
unsichere Aussicht der FrŸherkennung wird sich erst verbessern, wenn neue
Methoden eine zuverlŠssigere Prognose geben kšnnen: Ÿber die Erkrankung, ihren
Verlauf und das Todesrisiko. Das bedeutet nicht, dass sie derzeit sinnlos ist,
wohl aber, dass sie von €rzten, Kassen und Patienten gut abgewogen werden muss.
Aus populistischen GrŸnden auf den PrŠventionszug aufzuspringen ist
verantwortungslos. Zudem wird es hšchste Zeit, dass Mediziner ihre Neigung zur
Bevormundung ablegen. So gesteht die Patientencharta, ein kŸrzlich vom
Bundesjustizministerium herausgegebener juristischer Stand der Dinge, dem
Patienten weit gehende Rechte zu. ãAlle medizinischen Ma§nahmen setzen eine
wirksame Einwilligung des Patienten vorausÒ, hei§t es da. Der Patient sei
rechtzeitig und ohne Druck auf die Konsequenzen einer Ma§nahme hinzuweisen.
Diese
AufklŠrung Ð bei einer bevorstehenden Operation oder Impfung NormalitŠt Ð wird
beim Abtasten der Prostata oder dem Pap-Abstrich ignoriert, obwohl die
Konsequenzen ebenso folgenschwer sein kšnnen. So sieht es die Krebsgesellschaft
Nordrhein-Westfalen als ihre Aufgabe an, ãdie Bevšlkerung Ÿber die
Notwendigkeit einer frŸhzeitigen Erkennung der Krebskrankheit zu informierenÒ Ð
wohlgemerkt nicht Ÿber die FrŸherkennung an sich, sondern Ÿber deren
ãNotwendigkeitÒ. Der Patient soll keine Entscheidung treffen, er soll ein
Einsehen haben. Mšgliche SchŠden werden folgerichtig bei dieser Art von
ãInformationÒ ausgeblendet.
Weil
die Bilanz der FrŸherkennung so heikel ist, darf es keine Pflicht zur
FrŸherkennung geben, wie es manche bereits fordern. Es kommt vielmehr darauf
an, Patienten ehrlich Ÿber das TauschgeschŠft aufzuklŠren, das FrŸherkennung
bedeutet. Je nach individueller Bewertung wird sich der eine fŸr, der andere
gegen FrŸherkennung entscheiden. Vielleicht gibt es krebskranke Verwandte, die
die persšnliche EinschŠtzung verŠndern. Andere halten die Sorge vor Krebs aus
und konzentrieren sich auf Dinge, die ihnen wichtiger erscheinen.
Ausschlaggebend ist: Egal ob man sich fŸr oder gegen KrebsfrŸherkennung
entscheidet, beides kann sehr vernŸnftig sein.
Zum
selben Thema haben Christian Weymayr und Klaus Koch das Buch ãMythos
KrebsvorsorgeÒ (Eichborn Verlag, Frankfurt am Main) veršffentlicht
(c) DIE ZEIT 18.06.2003 Nr.26
Die ZEIT
- Weymayr
Mit
immer ausgeklŸgelteren Verfahren steigt die Chance, ungewollt in den Sog der
Medizin zu geraten. Beim GebŠrmutterhalskrebs suchen die €rzte gezielt nach
noch gutartigen GewebeverŠnderungen, die bšsartig werden kšnnen. Aber viele
bleiben gutartig. Auch die Standardmethode, der Pap-Abstrich, ist umstritten.
Vor wenigen Wochen machten Mediziner im British Medical Journal folgende Rechnung auf: Um eine
einzige Frau vor dem Tod durch einen GebŠrmutterhalskrebs zu bewahren, mŸssen
1000 Frauen 35 Jahre lang zur FrŸherkennung gehen. Von diesen Frauen werden 150
ein besorgniserregendes Testresultat bescheinigt bekommen, von denen mehr als
50 wegen ihres Tumors behandelt werden _ mit allen Risiken und Nebenwirkungen
einer Krebstherapie.
Und die
Pap-Suche soll jetzt sogar noch ausgedehnt werden. In fast jedem
GebŠrmutterhalstumor finden sich bestimmte Warzenviren, die humanen
Papillomviren (HPV). Gentests erkennen diese Viren und kšnnen, so die
Argumentation der Testpropagandisten, bei der Beurteilung helfen, ob eine Frau
besonders gefŠhrdet ist.
Der
Haken an der Sache: Fast jede Frau wird irgendwann in ihrem Leben mit den
sexuell Ÿbertragbaren Viren infiziert sein _ vorŸbergehend und ohne etwas davon
zu merken. Wenn man nach den Viren sucht, wird man also mit Sicherheit viele
infizierte Frauen finden. Doch fŸr die gro§e Mehrzahl ist der Fund všllig ohne
Bedeutung.
Die
FrŸherkennung laboriert nicht nur an †berdiagnosen. Ein verschwiegenes Problem
ist, dass einige
Tumoren
bereits unheilbar sind, lange bevor sie entdeckt werden kšnnen. Wenn solch ein
Krebs schlie§lich bei der Vorsorge auffŠllt, ist das Ergebnis nur eine
Vorverlegung der Diagnose.
Ein
Beispiel: Zwei Frauen sterben mit 57 Jahren an ihrem Brustkrebs _ die eine
hatte die Prognose erst mit 53 erfahren, die andere schon mit 50. Die FrŸherkennung
verlŠngerte nicht das Leben, sondern das Leiden. Auch der umgekehrte Fall kommt
vor. Die meis- ten Tests Ÿbersehen ein Zehntel bis manchmal die HŠlfte der
Tumoren, sodass es immer wieder so genannte falsch-negative Diagnosen gibt. Die
Betroffenen gehen beruhigt nach Hause und nehmen Warnzeichen vielleicht nicht
ernst genug.
Man muss
sich darŸber klar sein, dass sich der Tausch der Risiken in dem Moment
vollzieht, in dem der Arzt eine Blutprobe abnimmt, um einen PSA-Wert zu
bestimmen, oder die Helferin die Brust mit dem
RšntgengerŠt
flach drŸckt. Wenn die Untersuchung einmal anlŠuft, gibt es meist kein ZurŸck
mehr. Das ist der Augenblick, wo aus der abstrakten Statistik Einzelschicksale
werden, deren Verlauf niemand vorhersagen kann. Die Bilanz ist so heikel, dass
jeder selbst entscheiden sollte, was er bevorzugt. Kennzeichnend ist aber, dass
den Teilnehmern bislang die Mšglichkeit der AbwŠgung verweigert wurde.
Kampagnen zur FrŸherkennung haben nur das Ziel, die Teilnehmerquote zu
steigern.
Die unsichere
Aussicht der FrŸherkennung wird sich erst verbessern, wenn neue Methoden eine
zuverlŠssigere
Prognose geben kšnnen: Ÿber die Erkrankung, ihren Verlauf und das Todesrisiko.
Das bedeutet nicht, dass sie derzeit sinnlos ist, wohl aber, dass sie von €rzten,
Kassen und Patienten gut abgewogen werden muss. Aus populistischen GrŸnden auf
den PrŠventionszug aufzuspringen ist verantwortungslos. Zudem wird es hšchste
Zeit, dass Mediziner ihre Neigung zur Bevormundung ablegen.
So
gesteht die Patientencharta, ein
kŸrzlich vom Bundesjustizministerium herausgegebener juristischer Stand der
Dinge, dem Patienten weit gehende Rechte zu. _Alle medizinischen Ma§nahmen
setzen eine wirksame Einwilligung des Patienten voraus_, hei§t es da. Der
Patient sei rechtzeitig und ohne Druck auf die Konsequenzen einer Ma§nahme
hinzuweisen.
Diese
AufklŠrung _ bei einer bevorstehenden Operation oder Impfung NormalitŠt _ wird
beim Abtasten der Prostata oder dem Pap-Abstrich ignoriert, obwohl die
Konsequenzen ebenso folgenschwer sein kšnnen. So sieht es die Krebsgesellschaft
Nordrhein-Westfalen als ihre Aufgabe an, _die Bevšlkerung Ÿber die
Notwendigkeit einer frŸhzeitigen Erkennung der Krebskrankheit zu informieren_ _
wohlgemerkt nicht Ÿber die FrŸherkennung an sich, sondern Ÿber deren
_Notwendigkeit_. Der Patient soll keine Entscheidung treffen, er soll ein
Einsehen haben. Mšgliche SchŠden werden folgerichtig bei dieser Art von
_Information_ ausgeblendet.
DIE ZEIT
- Vom Segen des Nichtwissens
Im
Dschungel der FrŸherkennung verliert der Mensch leicht die Orientierung. Ein
kleiner Leitfaden
Brustkrebs
Der
grš§te Risikofaktor fŸr den Brustkrebs ist Ð wie fŸr viele Krebsarten Ð das
Alter. Rund 430 Frauen unter 40 Jahren sterben jŠhrlich in Deutschland an
Brustkrebs; zehnmal so viele sind es im Alter zwischen 60 und 70 Jahren. Sind
Verwandte ersten Grades betroffen, steigt das Risiko.
Nach
einer chinesischen Studie mit 250000 Teilnehmerinnen gibt es keinen Hinweis
darauf, dass durch Selbstabtasten der Brust die Heilungschancen verbessert
werden. Trotzdem mšgen sich viele Krebsorganisationen nicht všllig von der
Methode verabschieden. Sie steigere, argumentieren sie, die Aufmerksamkeit fŸr
VerŠnderungen am eigenen Kšrper. Auch das Abtasten durch den Arzt ist
umstritten, vor allem, weil es hŠufig nicht sorgfŠltig genug durchgefŸhrt wird.
Beide Tasttechniken sind oft Anlass fŸr weitere Untersuchungen. €rzte entnehmen
unter anderem mit einer Nadel Gewebeproben, welche dann hŠufig unauffŠllig
sind.
Besser
schneidet Ð zumindest ab einem Alter von 50 Jahren Ð die Mammografie ab.
Allerdings ist auch diese nicht risikofrei: Zwischen 5 und 10 Prozent der
untersuchten Frauen mŸssen mit einem Fehlalarm rechnen. Au§erdem werden beim
Durchleuchten der Brust auch unheilbare Tumoren entdeckt. Die betroffenen
Frauen erfahren den Befund zwar frŸhzeitig, mŸssen aber lŠnger mit der fatalen
Diagnose leben.
Prostatakrebs
Erstaunlicherweise
liegt das durchschnittliche Alter der Prostatakrebstoten bei 77,6 Jahren und damit
hšher als das allgemeine Sterbealter.
Jeder
Mann ab 45 hat jŠhrlich Anspruch darauf, dass ein Arzt seine Prostata abtastet.
Krebsknoten fŸhlen sich hŠrter als normales Gewebe an. Trotzdem werden bei
diesem Test extrem viele Tumoren Ÿbersehen. Eine LebensverlŠngerung durch die
Technik ist nicht nachgewiesen.
Kein
Bestandteil der gesetzlichen FrŸherkennung ist der PSA-Test. Bei diesem wird in
einer Urinprobe nach einem Krebsmarker, dem prostataspezifischen Antigen (PSA),
gesucht. Ein erhšhtes PSA kann auf frŸhe Stadien des Prostatakrebses hinweisen.
Es gibt allerdings auch hier noch kein abschlie§endes Urteil darŸber, ob die
frŸhe Entdeckung von Krebszellen auch die Rate der TodesfŠlle senkt. In den USA
wurde bereits empfohlen, bei sehr niedrigen PSA-Werten Kontrollen nur in
FŸnfjahresabstŠnden durchzufŸhren.
Darmkrebs
Zur
erfolgreichen FrŸherkennung bietet der Dickdarmkrebs wohl die gŸnstigsten
Voraussetzungen. Er wŠchst meist langsam und entwickelt sich Ÿber gutartige
Vorstufen, so genannte Polypen, die der Magen-Darm-Spezialist relativ leicht
erkennen kann. Umstritten ist aber, welches die beste Methode dazu ist.
Ab
50 wird die jŠhrliche Stuhluntersuchung auf Blut empfohlen. Wer diesem Rat
folgt, kann tatsŠchlich sein Risiko verringern, an Darmkrebs zu sterben.
Allerdings entgehen dem Stuhltest etwa die HŠlfte aller Tumoren. Ein
unauffŠlliges Testergebnis bedeutet also keine Entwarnung. Wurde in der
Verwandtschaft gehŠuft Darmkrebs diagnostiziert, ist das Risiko fŸr eine
Entartung von Polypen besonders hoch. Patienten mit dieser Vorgeschichte
profitieren definitiv von regelmŠ§igen Darmspiegelungen. Die Untersuchung ist
aufwŠndig und wird aus diesem Grund wahrscheinlich auch in Zukunft kein
Massentest werden.
GebŠrmutterhalskrebs
Zwar
treten GebŠrmutterhalstumore hŠufig schon bei jungen Frauen auf. Doch im Alter
ist die Sterblichkeit am hšchsten. Seit Beginn der siebziger Jahre fiel die
Rate der TodesfŠlle fŸr diesen Krebs wieder auf das Niveau der fŸnfziger Jahre.
Diese Entwicklung wird als Paradebeispiel fŸr den Nutzen der FrŸherkennung
gefeiert. Das Instrument dafŸr war und ist der Schleimhautabstrich mit
anschlie§ender Zelluntersuchung, der so genannte Pap-Test. Ihm entgeht jedoch
jede zweite bis dritte ZellverŠnderung. Es werden auch Tumorvorstufen entdeckt,
die sich unbehandelt von selbst zurŸckbilden. Aus diesem Grund sind Fehlalarme
sehr hŠufig.
(c)
DIE ZEIT 18.06.2003 Nr.26